Libidoverlust bei Frauen: Was bedeutet das wirklich?
Sexualität ist für viele Menschen ein wesentlicher Teil ihres Lebens. Doch was passiert, wenn die Lust auf Sex irgendwann fehlt? Viele Frauen erleben im Laufe ihres Lebens Phasen, in denen das sexuelle Verlangen abnimmt oder ganz verschwindet. Dieses Phänomen wird oft als Libidoverlust bezeichnet, es ist weit verbreitet und trotzdem mit Scham und Unsicherheit verbunden. Was steckt wirklich hinter der sexuellen Unlust bei Frauen? Der folgende Beitrag geht der Frage auf den Grund, was Libidoverlust bei Frauen tatsächlich bedeutet. Als Sexualtherapeutin teile ich mein Wissen jenseits von Klischees und oberflächlichen Erklärungen.
Inhaltsverzeichnis
Sexuelle Unlust bei Frauen: Zwischen Alltag, Hormonen und Emotionen
Als Frau keine Lust auf Sex? Warum das weit verbreiteter ist, als gedacht
Libidoverlust verstehen: Die häufigsten Auslöser für mangelnde Lust
Stress als Lustkiller: Wie mentale Belastung die Sexualität beeinflusst
Sexuelle Unlust durch die Pille? Was du über hormonelle Verhütung wissen solltest
Libido stärken: Was wirklich helfen kann, wenn das sexuelle Verlangen fehlt
Wann Libidoverlust mehr ist als eine Phase: Wie therapeutische Hilfe unterstützen kann
Sexuelle Unlust bei Frauen: Zwischen Alltag, Hormonen und Emotionen
Das Wort Libido steht für sexuelles Begehren oder sexuelles Verlangen. Es geht um die Lust auf Sex.
Heute wird der Verlust der Libido, sofern dies bei der betroffenen Person mit einem Leidensdruck verbunden ist, im ICD-11 als Gesundheitsproblem beurteilt und gehört zu den sexuellen Störungen.
Warum leiden besonders häufig Frauen an sexueller Unlust? Die Gründe dafür sind vielfältig und natürlich sehr individuell. Meist beeinflussen mehrere Faktoren die Ursachen für eine geringe oder fehlende Libido und nicht selten tritt sexuelle Unlust in langjährigen Partnerschaften auf. Ein voll gepackter Alltag, zyklische Hormonschwankungen, das eigene Selbstbild und Herausforderungen in der Beziehung können Faktoren sein, die sich negativ auf die Lust auswirken und so zu Libidoverlust bei der Frau führen.
Hinzu kommt, dass nur etwa jede:r Zweite über das sagenumwobene spontane sexuelle Begehren verfügt, das in unserer Gesellschaft als Standard zelebriert wird. Bei der anderen Hälfte aller Menschen braucht das sexuelle Begehren einen sicheren Raum, um sich entfalten zu können. Es braucht einen individuell unterschiedlich, sexpositiven Kontext, um Sex und die Lust darauf möglich zu machen. Das entspricht häufig nicht der allgemein gängigen Vorstellung von Leidenschaft und Verlangen.
Als Frau keine Lust auf Sex? Warum das verbreiteter ist, als gedacht
Studien belegen also, dass Frauen häufiger unter sexueller Unlust leiden als Männer. Aber wo liegen die Ursachen?
Sexualität und alles was damit verbunden ist, ist wie alles andere in unserem Leben erlernt. Ja genau, wir lernen Sex, so wie wir einmal laufen, sprechen und lesen gelernt haben. Sex passiert vielleicht (manchmal) spontan, aber wie du dich dabei fühlst, wie du dich bewegst und was dir gefällt, das hast du alles gelernt.
Die Ursachen für sexuelle Unlust sind nur selten körperliche Störungen oder Erkrankungen. Wesentlich häufiger sind die Gründe bei der persönlichen sexuellen Lerngeschichte zu finden. Während wir alle ähnlich sozialisiert sind, haben Männer und Frauen, aufgrund ihrer sozialen Rollenzuschreibung, unterschiedliche Voraussetzungen für das sexuelle Lernen.
Ein kurzer Blick in die Geschichte: Während Sex Jahrhunderte lang die Bedürfnisse des Mannes befriedigte, war die Frau (oft) das Objekt der Begierde, ihre Bedürfnisse und sexuellen Interessen wurden jedoch weitestgehend negiert oder sogar als krankhaft eingestuft. Auch wenn heute Konsens und Gleichberechtigung gross geschrieben werden, tragen wir alle bewusst und unbewusst, noch die jahrhundertealten patriarchalen Strukturen in uns.
Warum haben also Frauen häufiger keine Lust auf Sex? Weil Viele noch nicht gelernt haben, was für sie selbst eine erfüllende Sexualität bedeutet und wie sie diese selbstbestimmt gestalten können. Ganz oft fokussiert sich die weibliche Sexualität noch immer auf die Bedürfnisse des Mannes, auch wenn dies vom Mann längst nicht erwartet wird. Die Ursachen für Unlust auf Sex sind dennoch vielfältig. Die gesellschaftliche Prägung ist aber ein wesentlicher Faktor, der einen Einfluss auf die Auslöser und Gründe für den Libidoverlust bei Frauen hat.
Libidoverlust verstehen: Die häufigsten Auslöser für mangelnde Lust
Probleme in der Beziehung
Oft ist nicht eindeutig, ob unterschiedliches sexuelles Verlangen die Probleme in der Partnerschaft begünstigt hat oder ob bestehende Beziehungsprobleme zur sexuellen Unlust bei der Frau geführt haben. Oftmals spielen beide Aspekte eine Rolle. Unterschiedliche Erwartungen an die Häufigkeit und Umsetzung von Geschlechtsverkehr und damit einhergehend mentaler Druck, körperliche Veränderungen und das Fehlen von emotionaler Verbindung können einen Einfluss auf das sexuelle Begehren haben. Und ist es der Sex (noch) wert, darauf überhaupt Lust zu haben?
Körperliche Veränderungen
Der weibliche Körper ist in steter Veränderung, allein bedingt durch den weiblichen Zyklus und die damit einhergehenden Wandel der Hormone.
Schwangerschaft, Geburt, die Wechseljahre, Erkrankungen und/oder die Einnahme von Medikamenten, können einen Einfluss auf den Körper und das körperliche Erleben von Geschlechtsverkehr haben. Vermindertes sexuelles Verlangen kann eine direkte Folge sein oder sich aus sexuellen Störungen wie Dyspareunie, Vaginismus, ungenügender Lubrikation oder Schmerzen beim Geschlechtsverkehr entwickeln.
Psychische Belastungen
Psychische Erkrankungen sowie die Behandlung mit Medikamenten könnten bei Frauen gleichermassen einen Libidoverlust verursachen. Hoher mental load, berufliche und familiäre Belastungen, alles was ungesunden Stress fördert, kann sexuelle Unlust auslösen.
Kein Sex wegen Stress: Wie mentale Belastung die Sexualität beeinflusst
Unser Körper verfügt über ein autonomes Nervensystem. Sehen wir uns einer Gefahr ausgesetzt, schaltet sich der Sympathikus-Nerv ein, der unseren Körper in den Kampf- oder Fluchtmodus versetzt. Der Herzschlag beschleunigt sich, die Muskulatur spannt sich an, die Atmung wird flach - das ist Stress auf körperlicher Ebene. Heute sind wir nur noch selten physischen Gefahren ausgesetzt, mentale Überbelastung suggeriert dem Körper aber ebenfalls Gefahr und versetzt ihn in den Stressmodus. Dies kann kurzfristig positive Effekte auf unsere Leistung haben. Mit einem aktiven Sympathikus ist es allerdings nicht möglich, mit sich selbst und anderen in eine echte, tiefe Verbindung zu treten, offen für Austausch und Intimität zu sein oder sich kreativ zu betätigen. Was in einer tatsächlichen Gefahrensituation ja auch sehr hinderlich wäre, wenn es darum geht, einer Gefahr mittels Kampf oder Flucht schnellstmöglich zu entkommen.
Für das Erleben von Verbindung brauchen wir die Aktivierung des ventralen Vagusnerv, ein zweiter Ast des autonomen Nervensystems. Das gelingt im Erleben von Entpannung und Sicherheit.
Fazit: Mental erlebter Stress ist auch körperlicher Stress. Er kann so stark belasten, dass Paare wegen Stress keinen Sex miteinander haben – weil Anspannung Nähe, Lust und sexuelle Verbindung blockiert. Er verhindert mit dem eigenen sexuellen Körper und dem des Gegenübers in Verbindung zu treten und sexuelles Verlangen zu entwickeln.
Sexuelle Unlust durch die Pille? Was du über hormonelle Verhütung wissen solltest
Die Antibabypille ist eine der sichersten Schwangerschaftsverhütung, mit einem Peal-Index von 0,1 - 0,9. Die Veränderung des körperlichen Hormonhaushalts durch die Einnahme der Pille kann einen Einfluss auf die Libido haben. Einen ähnlichen Einfluss können alle hormonellen Verhütungsmittel haben. Mögliche Ursachen für die sexuelle Unlust durch die Pillesind der reduzierte Spiegel von freiem Testosteron, einem für das sexuelle Verlangen mitverantwortlichen Hormon und das Ausbleiben des Eisprungs. Ausserdem können Stimmungsschwankungen, depressive Verstimmungen, Gewichtszunahme oder auch vaginale Trockenheit das Erleben von Sexualität beeinflussen und damit die Unlust für Frauen begünstigen.
Wichtig: Jede Frau reagiert anders auf die Einnahme der Pille. Vermutest du einen Zusammenhang zwischen Pille und Libidoverlust sprich mit deiner Gynäkologin, deinem Gynäkologen. Es gibt hormonfreie Verhütungsmethoden oder Präparate mit anderer Zusammensetzung, die weniger oder keine Nebenwirkungen auf dich haben können.
Libido stärken: Was wirklich hilft, wenn das sexuelle Verlangen fehlt
Was den Verlust der sexuellen Lust begünstigt, haben wir nun erfahren. Wie du selbstbestimmt Einfluss auf deine Lust oder Unlust nimmst, erfährst du jetzt. Vorab wichtig: Veränderungen sind nur dann notwendig, wenn die aktuelle Situation ein Leiden auslöst. Bist du selbst zufrieden, wie es gerade ist, dann ist alles gut.
Nimm dir etwas Zeit, am besten immer mal wieder ein paar Minuten. Mach dir Gedanken zu den folgenden Themen und halte sie am besten schriftlich fest:
Kontext: Wann fühlst du dich entspannt, beruhigt und mit dir selbst in Verbindung? Was brauchst du, um deinen Körper zu spüren? In welchen Situationen kannst du deinen körperliche Erregung wahrnehmen? Wann fühlst du dich emotional sicher und entspannt? Suche deine ganz persönlichen Inseln, in denen der Kontext stimmt, damit Lust Raum bekommen kann, in deinem Körper und mental. Wenn du deinen sexpositiven Kontext kennst, kannst du dir bewusster Momente schaffen, in denen die Möglichkeit für Lust aufkommen kann.
Gaspedal und Bremse: Was drückt auf dein sexuelles Gaspedal? Was turnt dich an, was erweckt deine sexuelle Erregung? Und was drückt auf deine sexuelle Bremse? Was turnt dich ab, wann löscht dir der Gedanke an Sex ab? Das können Dinge sein wie: Bestimmte Situationen, Gerüche, Erinnerungen, Berührungen, emotionale Stimmungen, uvm. Tatsache ist, das es Faktoren gibt, die zugleich auf die Bremse und das Gaspedal drücken. Und es ist gut möglich, das manchmal das Gaspedal und die Bremse auch gleichzeitig gedrückt sind - dann reicht es häufig auch nicht aus, um sexuelles Verlangen zu entfachen. Ausserdem gibt es Menschen, die eher darauf achten, die Bremse zu lösen und andere, die eher auf das Gaspedal drücken.
Wenn du weisst, welche Faktoren dich in welcher Hinsicht beeinflussen, kannst du selbstbestimmter agieren. Es geht dabei nicht darum, dass deine Bremse stets gelöst ist. Zentral ist, dass du verstehst wie du funktionierst und wann und wieso sexuelle Unlust da ist.
Das Modell vom Gaspedal und der Bremse stammt übrigens von Emily Nagoski und wird auch duales Kontrollmodell genannt.Schmerzen beim Sex: Schmerzen sollten nie toleriert werden. Spätestens wenn es weh tut, eine Pause einlegen und mit der schmerzhaften Aktivität aufhören. Schmerzerleben kann einen körperlichen und psychischen Einfluss auf deine Gesundheit haben und verursacht bei Frauen langfristig ziemlich sicher den Verlust der Libido. Die aktive Behandlung von einem schmerzhaften Erlebnis, körperlich beispielsweise mit einem beruhigenden Öl und emotional mit einem offenen Gespräch, kann wiederum einen heilenden Effekt haben.
Kommunikation: Lebst du in einer Partnerschaft, dann teile deine Erkenntnisse möglichst offen mit deiner Beziehungs-Person. Wahrscheinlich ist sie von der Unlust mitbetroffen. Häufig leiden Beziehungen unter dem Verlust/Fehlen von Lust auf Sex. Wenn du deine Beziehungs-Person einbeziehst, hat sie die Möglichkeit, bewusst Einfluss auf deinen sexpositiven Kontext zu nehmen und versteht vielleicht etwas besser, wie deine Lust funktioniert.
Im Ratgeberbeitrag “weiblicher Orgasmus” findest du übrigens noch weitere Informationen und praktische Tipps, die für Frauen auch im Bezug auf sexuelle Unlust interessant sind.
Wann Libidoverlust mehr ist als eine Phase – und Therapie Frauen hilft
Natürlich gibt es Ursachen, die sich hartnäckig halten. Manchmal kann es sinnvoll sein, professionelle Hilfe bei zuziehen, wenn man alleine nicht mehr weiter kommt. Eine Therapie kann Frauen nachhaltig unterstützen, wenn der Libidoverlust einen langanhaltenden Leidensdruck auslöst. Dabei können sexuelle Störungen, wie Schmerzen beim Geschlechtsverkehr die Ursache sein, oder die Ursachen begünstigen. Die Wechseljahre und bereits die Jahre davor ab etwa 35, sind nicht zu unterschätzen. Die durch die Wechseljahre bedingten Hormon-Schwankungen können die Lebensqualität auf vielen Ebenen beeinflussen und bei manchen Frauen die sexuelle Unlust verstärken. Erkrankungen, psychische und physische, sowie eine langfristige Behandlung mit Medikamenten, erfordern manchmal Therapie in verschiedenen Lebensbereichen.
In einer Sexualtherapie wird die ganz individuelle Lebenssituation erfasst und darauf aufbauend Strategien entwickelt, wie die Lust wieder neu entfacht werden kann. Dabei arbeite ich in der Therapie besonders auch mit dem Körper, weil Veränderung oft leichter und effizienter geschieht, wenn ganzheitlich gearbeitet wird. Durch kontinuierliche und persönliche Begleitung, die konstante und intensive Auseinandersetzung mit sich selbst kann in einem transformativen Prozess etwas Neues entstehen.
Manchmal liegen die Ursachen für sexuelle Unlust auch in der Beziehung. Oder sie belasten zumindest auch die Beziehung. Wenn ihr zusammen nicht mehr weiter wisst, kann es hilfreich sein, die (sexuellen) Herausforderungen in einer Paarberatung anzugehen. Dabei haben immer alle Perspektiven ihre Berechtigung und Paar-Themen auf allen Ebenen können bearbeitet werden. So besteht die Möglichkeit, sich gemeinsam und miteinander weiter zu entwickeln und nachhaltige Strategien zu entdecken, wie die gemeinsame Sexualität (neu) gestaltet werden kann, um allen Bedürfnissen gerecht zu werden.
Interessierst du dich für weitere Beziehungsthemen? In meinem Beitrag “Offene Beziehung leben” findest du spannende Informationen - auch für monogam lebende Paare.