Der weibliche Orgasmus: Verstehen, erleben und intensiver geniessen

Der Orgasmus ist für Viele der Höhepunkt sexueller Lust und damit ein essentieller Bestandteil von Sexualität. Besonders der weibliche Orgasmus ist aber auch heute noch mit viel Unsicherheit und Unwissen verbunden. Und Studien belegen einen Orgasmus-Gap zwischen Männern und Frauen. Während in der Schweiz 96% der Männer in der partnerschaftlichen Sexualität regelmässig einen Orgasmus erleben, sind es bei den Frauen 56%.

Dieser Artikel möchte dir Wissen zum weiblichen Orgasmus vermitteln und aufzeigen, warum Aufklärung hilft, den eigenen Körper, sexuelle Erregung und Lust besser zu verstehen, um deine Sexualität lustvoller zu erleben. Als Sexualtherapeutin erkläre ich hier, was ein Orgasmus ist und wie er entsteht, entlarve falsche Mythen und teile mit dir praktische Tipps für mehr Vergnügen und wie vielleicht auch du besser zum Orgasmus kommst.

 
 

Was ist der weibliche Orgasmus? Eine körperliche und emotionale Reise

Das körperliche und emotionale Erleben von einem Orgasmus und sexueller Erregung ist nicht immer ganz leicht auseinander zu halten. Zum Verständnis hilft es, diese Bereiche einmal kurz voneinander getrennt zu betrachten.

Die Emotionen: Die Gefühle und Gedanken die mit Sex verbunden sind, beeinflussen die Qualität und die Fähigkeit für einen Orgasmus. Zentral für den sexuellen Genuss ist, wie du mit deinem eigenen Körper verbunden bist, wie du dich in deinem Körper fühlst und wie du ihn wahrnimmst. Mentale Entspannung ist dabei ein wichtiger Faktor, ebenso wie die Beziehung zu deinem Gegenüber. Gefühle von Sicherheit und Verbundenheit mit sich selbst und dem/der Sexual-Partner:in haben eine markante Wirkung darauf, wie sich Sex für dich anfühlt.

Der Körper: Unabhängig ob es sich um Solo-Sex oder Sex mit anderen Menschen handelt, passiert im Körper das Selbe. Steigert sich das sexuelle Lustempfinden, beispielsweise durch die Stimulation der Klitoris, erhöht sich die Herzfrequenz, der Blutdruck und die Muskelspannung.

Für sexuellen Genuss ist der gesamte Körper bedeutsam und der Fokus allein auf eine oder zwei erogene Zonen ist der Lust nur selten dienlich. Trotzdem gut zu wissen:

Die Klitoris ist das zentrale Lustorgan der Frau. Sie enthält etwa 8’000 Nervenenden und damit gut doppelt so viele wie der Penis. Die Klitoris als Organ hat allein die Funktion, sexuelle Lust zu verschaffen. Die Stimulation der Klitoris aktiviert Nerven, deren Impulse ins Gehirn weitergeleitet werden und den Orgasmusreflex auslösen können.

Bei einem Orgasmus kontrahiert die Muskulatur von Beckenboden, Uterus und der Vaginalwand rhythmisch etwa alle 0.8 Sekunden für eine Dauer von ca. 10 bis 30 Sekunden. Verschiedene Hormone, wie Dopamin und Endorphine, werden ausgeschüttet und haben einen Einfluss auf die Wahrnehmung des Orgasmus.

Die Wahrnehmung: Ob du einen sexuellen Höhepunkt hast und wie du deinen Orgasmus erlebst, hängt damit zusammen, wie die körperlichen, emotionalen und mentalen Aspekte zusammenwirken. Studien belegen, dass Frauen mit hoher Körperwahrnehmung häufiger und intensivere Orgasmen erleben.

Deshalb ist weniger die Technik des Gegenübers relevant, sondern viel mehr, wie gut du dich selbst und deinen Körper kennst. Mit dem Wissen, was du brauchst und was dir gut tut, stärkst du die Freiheit, deine Sexualität selbst bewusst zu gestalten, wie sie dir gefällt.

Häufige Mythen rund um den weiblichen Orgasmus – und was wirklich stimmt

Rund um den weiblichen Orgasmus kursieren noch ganz viele Irrtümer und bedenkliche Glaubenssätze, die manchmal auch daran hindern können, eine genussvolle Sexualität zu erleben. Dank der einen oder anderen wissenschaftliche Studie, liegen heute Fakten vor, die diese Mythen entkräften.

  • Der weibliche Orgasmus ist kompliziert
    Nein, der weibliche Körper funktioniert einfach etwas anders als der eines Mannes. Und die weibliche Sexualität wird noch nicht sehr lange als relevant beurteilt, entsprechend fehlt es noch an Wissen zur und Kompetenzen im Umgang mit weiblicher Lust. Als Beispiel: die Klitoris wurde bereits in der Antike entdeckt, allerdings als unbedeutend beschrieben. Entsprechend fehlt es bis heute an wissenschaftlichen Studien zur Klitoris.

  • Ein Orgasmus ist der Beweis für guten Sex und (multiple) Orgasmen oder Squirting bestätigen die Fähigkeiten der Sexual-Partner:innen
    Über Jahrhunderte orientierte sich sexueller Genuss an den Bedürfnissen des Mannes. Ein Aspekt davon ist die Bestätigung der Männlichkeit über die Befriedigung der Frau. Verschafft ein Mann einer Frau einen Orgasmus, multiple Orgasmen oder bringt sie zum Squirten, bestätigt ihn dies in seiner männlich-sexuellen Kompetenz. Kann die Frau dem Mann diese Bestätigung nicht gewährleisten, verfügt entweder er über ungenügende Sex-Skills oder sie hat ein Problem. Die Schwierigkeit bei diesem Mythos: Sex geschieht in einem Kontext von Macht, Begegnung auf Augenhöhe ist nicht möglich. Funktioniert die Bestätigung über den Orgasmus nicht, gibt es deshalb unweigerlich ein Problem. Schade, weil Sex so viel mehr sein kann als das Erstreben von Orgasmen.

  • Der einzig richtige Orgasmus ist vaginal, wenn er durch die Penetration ausgelöst wird. Der “äussere” klitorale Orgasmus ist eher eine Notlösung, wenn es mit der Penetration durch den Penis nicht klappt
    Die Klitoris ist das Lustorgan, welches mehrheitlich für das Entstehen eines Orgasmus zuständig ist. Die Klitoris ist allerdings um einiges grösser, als der kleine Teil - die Klitorisperle oder auch Kitzler genannt - den wir sehen und mit unseren Fingern ertasten können. Die Klitoris erstreckt sich im Körper über 9 bis 12 cm, umschliesst den Harnröhrenausgang und die Vagina. Das Klitorisgewebe kann sich bis zum Enddarm erstrecken. Entsprechend wird bei einer vaginalen oder analen Stimulation immer auch die Klitoris stimuliert. Vereinfacht formuliert, handelt es sich (fast) immer um einen klitoralen Orgasmus, unabhängig davon, ob dafür Teile der Vulva oder Vagina stimuliert oder penetriert werden. Ob eine Frau mehr auf die Berührung an der Klitorisperle, der Vulva, der Vagina oder eine Kombination dessen reagiert, ist zum einen einfach absolut individuell, zum anderen erlernt. Es gibt keine sinnvolle Begründung, weshalb die Stimulation an unterschiedlichen Orten bewertet werden sollte. Solange du deinen Orgasmus geniesst, ist er richtig.

  • Die Stimulation am richtigen Punkt (G-Punkt, U-Punkt, A-Punkt usw.) ist der Schlüssel zum Orgasmus
    Es kann sein, dass du besonders intensiv auf die Berührung einer oder mehrerer dieser Zonen reagierst. Wenn dem nicht so ist, ist mit deinem Körper und der Lust alles normal. Wie genau die Nervenenden in den Genitalien verteilt sind und wie sie auf Berührung reagieren, ist so unterschiedlich und individuell, wie jeder Mensch es ist. Sich nur auf eine dieser Zonen zu fokussieren, würde dem Reichtum des individuellen Erlebens nicht gerecht werden.

  • Sex ist der Höhepunkt sexueller Interaktion
    So haben wir alles das zumindest irgendwann einmal gelernt. Und häufig endet der Sex bei Vielen ja dann auch nach dem Orgasmus. Was völlig legitim ist, aber nicht immer befriedigend. Denn Sex kann sehr viel mehr sein, als nur der Weg zum Ziel. Ist ein Orgasmus ein Teil von Sex, ist das toll. Wird ein Orgasmus zur Pflicht, geht einiges an Genuss und Vergnügen verloren. Der Einfluss vom Druck, einen Orgasmus zu haben oder zu geben, ist nicht zu unterschätzen. Er kann gar zu sexueller Unlust führen.

Besserer Orgasmus für Frauen: Wie du deine Lust bewusster erlebst

Orgasmusfähigkeit ist nur zu einem geringen Teil genetisch bedingt. Das heisst, es gibt viel Spielraum für Veränderung und Entwicklung. In einer Studie von 2011 werden unter anderem die Aspekte Körperwahrnehmung, Kommunikation und Kontext als zentrale Merkmale für den weiblichen Orgasmus benannt.

Achtsamkeit ist eine nachhaltige Strategie, die eigene Körperwarnehmung zu fördern. Die Fähigkeit, körperliche Sinnesempfindungen wahrzunehmen, legt die Basis zu spüren, was dir ganz persönlich gut tut, im Alltag und beim Sex. In der Solo-Sexualität und beim Sex mit anderen Menschen darfst du dich selbst ins Zentrum stellen. Konzentriere dich immer wieder darauf, was du in deinem Körper spürst und welche Gefühle aufkommen. Offen und neugierig dir selbst gegenüber sein unterstützt dich im Endecken, was du auf dem Weg zu einem besseren Orgasmus brauchst.

Manche Stimmen behaupten ja, Sex ist Kommunikation. Darin liegt mit Sicherheit etwas Wahres. Wenn du aber etwas verändern möchtest, ist verbale Kommunikation das Mittel zum Zweck um deine Selbsterkenntnis mit deinem Gegenüber zu teilen. Und zwar vor, während und nach dem Sex. Dazu braucht es einen sicheren Kontext und Vertrauen in das Gegenüber, um sich öffnen zu können.

Besser zum Orgasmus kommen: Praktische Tipps für mehr Lust & Vertrauen

  • Achtsamkeitsübung: Bodyscan: Achtsamkeit und Körperwahrnehmung beginnt im Alltag. Nimm dir täglich ein paar Minuten Zeit für einen Bodyscan. Fokussiere dich auf die Atmung, beobachte, wie dein Atem fliesst und vertiefe ihn für ein paar Atemzüge. Gehe dann mit deiner Aufmerksamkeit durch deinen Körper, beobachte einzelne Körperregionen - wie nimmst du sie wahr, welche Sinnesempfindungen entdeckst du? Je häufiger du im Alltag deine Wahrnehmung bewusst auf deinen Körper lenkst, umso leichter fällt es dir beim Sex auf deine Körperempfindungen zu achten.

  • Solo-Sex: Sex ohne ein Gegenüber ist unglaublich wertvoll, um deine weibliche Erregung ganz in Ruhe und ohne Druck zu entdecken. Nutze dazu deine Hände und Finger, beziehe den ganzen Körper mit ein und nimm dir immer mal wieder Zeit um zu spüren, was in deinem Körper passiert. Hast du schon eine effektive Strategie, um allein zum Orgasmus zu kommen? Beobachte, was genau alles dazu beiträgt. Bewegung, Atmung, Spannung, Rhythmus. Und probiere gern auch mal was Neues. Übrigens: Eine Studie von 2014 belegt, das Menschen die regelmässig masturbieren mehr sexuelles Selbstvertrauen und eine höhere Orgasmusfähigkeit beim Paarsex haben.

  • Kontext: Ermittle deinen lustfördernden Kontext. Was fördert deine sexuelle Erregung? Was brauchst du, dass Lust aufkommt? Und was hemmt dein Interesse an Sexualität? Das können Aspekte auf der emotionalen, körperlichen und mentalen Ebene sein. Wenn du weisst, was dich in Stimmung bringt und was dich bremst, kannst du deinen Kontext aktiv gestalten. Ein sicherer, sexpositiver Kontext unterstützt eine genussvolle Sexualität auf allen Ebenen und die Möglichkeit, besser zum Orgasmus zu kommen.

  • Kommunikation: Teile deine Erkenntnisse, Erfahrungen, Entdeckungen, Bedenken und Gedanken mit deinem Sexual-Partner / deiner Sexual-Partnerin. Wenn dein Gegenüber weiss, was du gerade fühlst und brauchst, hat es erst die Möglichkeit, darauf zu reagieren. Etwas neues ausprobieren, eine andere Berührung wagen, vielleicht weniger Reiben und dafür mehr Druck - alles ist möglich, wenn du dich traust, darüber zu sprechen. Nehmt euch auch mal zwischen dem Sex Zeit für ein Gespräch. Es kann Sicherheit und Vertrauen fördern.

Hinweis: Diese Tipps sind nicht nur für Frauen hilfreich, sondern dürfen gern auch von Männern und allen Menschen mit Penis oder Vagina ausprobiert werden.

Orgasmus ist nicht alles: Weibliche Sexualität in ihrer Vielfalt verstehen

Tatsächlich ist für eine erfüllende Sexualität ist ein Orgasmus gar nicht wirklich wichtig. Peggy Kleinplatz hat in ihrer Studie die wesentlichen Faktoren für eine grossartige Sexualität ermittelt - der Orgasmus an sich, ist dabei kein Thema. Viel wichtiger sind Aspekte wie präsent sein, Verbundenheit, Vertrauen, Kommunikation und Authentizität.

Die weibliche Sexualität auf den Orgasmus zu reduzieren, wird dem sexuellen Potential einer Frau nicht gerecht. Ebenso wenig wie die Definition von Sex als Akt “Penis in Vagina”. Sexualität soll Vergnügen und Genuss sein. Das ist mit und ohne Orgasmus möglich. Wichtig ist, wie du dich in deinem weiblichen Körper fühlst, wie du Erregung erlebst, zeigst und auskostest und wie du in Verbindung mit deinem Gegenüber bist.

Wann therapeutischer Rat sinnvoll ist – Orgasmusschwierigkeiten erkennen und ansprechen

Unzufriedenheit in der Sexualität und das Fehlen von einem Orgasmus können einen grossen Leidensdruck auslösen. Wenn du unglücklich bist, vielleicht sogar Schmerzen hast oder sich alles in dir zusammen zieht, wenn du an Sexualität denkst, kann es wertvoll sein, therapeutischen Rat zu suchen. Sexualität ist lernbar, deshalb ist Veränderung immer möglich. Der weibliche Orgasmus ist komplex, eine Sexualtherapie kann dich dabei unterstützen, einen Orgasmus zu erlernen oder einen besseren Orgasmus als Frau zu erleben.

Wenn der Orgasmus ein Thema ist, das deine Beziehung belastet, kann auch eine Paarberatung hilfreich sein. In einem geschützten Setting fällt es oft leichter, emotionale und herausfordernde Anliegen zu besprechen, und Paartherapie bietet euch die Möglichkeit, eure gemeinsame Sexualität weiterzuentwickeln. Dabei können auch unterschiedliche Beziehungsformen wie etwa eine polyamore Beziehung eine Rolle spielen – oder die Frage, was für euch als Paar stimmig ist.

Ich bin gern da, wenn du eine Expertin suchst, um über deine ganz individuellen Themen in der Sexualität oder die Herausforderung eurer romantischen Beziehung zu sprechen – auch dann, wenn Themen wie Libidoverlust bei der Frau eine Rolle spielen. Nimm dazu einfach unverbindlich Kontakt auf. Und wenn du an weiteren Ratgeber-Themen interessiert bist, wirf einen Blick auf meinen Artikel zur offenen Beziehung.

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